Legi­ti­ma­ti­ons­pro­ble­me von Arbeit und Funk­ti­ons­wan­del der Arbeits­be­zie­hun­gen

Dr. Tho­mas Eilt Goes

Wie und in wel­chem Aus­maß sich die Arbeits­be­zie­hun­gen und damit das Aus­tausch­ver­hält­nis zwi­schen Lohn­ar­beit, Kapi­tal und Staat ver­än­dern, gehört zu den zen­tra­len Fra­gen der Sozio­lo­gie. Hier setz­te das For­schungs­pro­jekt an, das die Sekun­där­ana­ly­se von Pri­mär­da­ten aus meh­re­ren SOFI-Stu­di­en mit der Aus­wer­tung wei­te­rer Quel­len (Debat­ten­bei­trä­ge aus gewerk­schaft­li­chen Publi­ka­tio­nen, Bio­gra­fien etc.) kom­bi­nier­te. Im Mit­tel­punkt der Unter­su­chung stand die Fra­ge, ob sich in der Auto­mo­bil­in­dus­trie ein grund­le­gen­der Funk­ti­ons­wan­del der Arbeits­be­zie­hun­gen voll­zo­gen hat oder nicht.

Die Unter­su­chung hat die fol­gen­den Ergeb­nis­se gebracht: Ins­ge­samt hat sich zwi­schen Anfang der 1980er und Ende der 1990er Jah­re ein Sys­tem des »Hege­mo­nia­len Markt­des­po­tis­mus« her­aus­ge­bil­det, für das per­ma­nen­te Bewäh­rungs­pro­ben von zen­tra­ler Bedeu­tung sind. »Hege­mo­ni­al« bedeu­tet in unse­rem Zusam­men­hang, dass insti­tu­tio­nel­le Macht der Beschäf­tig­ten nicht abge­schafft und koope­ra­ti­ve Manage­ment­stra­te­gien nicht über Nacht über Bord gewor­fen wur­den. Im Gegen­teil, Hege­mo­nia­li­tät steht hier für die wei­ter­hin bestehen­den For­men der insti­tu­tio­nel­len Arbei­ter­In­nen­macht und für die dar­auf beru­hen­den eher koope­ra­ti­ven Manage­ment­stra­te­gien. »Markt­des­po­tis­mus« ver­weist dage­gen auf drei Arten ent­fes­sel­ten Markt­drucks: ers­tens auf die akti­vie­ren­de und dis­zi­pli­nie­ren­de Wir­kung der ero­die­ren­den Arbeits­markt­macht der Beschäf­tig­ten; zwei­tens auf die gewach­se­ne rela­ti­ve Kapi­tal­mo­bi­li­tät (sowie die orga­ni­sier­te Stand­ort­kon­kur­renz); drit­tens auf die im Zuge von Ratio­na­li­sie­rungs­pro­zes­sen durch­ge­setz­te inter­ne Markt­steue­rung bzw. ‑simu­la­ti­on bei gleich­zei­ti­ger fle­xi­bler Markt­ori­en­tie­rung nach außen.

»Hege­mo­ni­al« ist die­ses Arbeits­be­zie­hungs­re­gime trotz per­ma­nen­ten Markt­drucks aber aus einem wei­te­ren Grund: Ins­be­son­de­re post­tay­lo­ris­ti­sche Momen­te der unter­neh­mens­be­zo­ge­nen Ratio­na­li­sie­rung boten posi­ti­ve Anknüp­fungs­punk­te für Beleg­schafts­re­prä­sen­tan­ten, arbeits­po­li­ti­scher Kon­sens wur­de so mög­lich. Das bedeu­tet: Kon­sens der Beleg­schafts­re­prä­sen­tan­tIn­nen wird inner­halb des Hege­mo­nia­len Markt­des­po­tis­mus zugleich durch Markt­zwang (dro­hen­der Ver­lust von Arbeits­plät­zen), durch das par­ti­el­le Auf­grei­fen von gewerk­schaft­li­chen For­de­run­gen (z.B. nach bes­se­rer Qua­li­fi­zie­rung oder der Siche­rung der Arbeits­plät­ze) und Betei­li­gungs­auf­for­de­run­gen orga­ni­siert (Betei­li­gung an der Siche­rung von Wett­be­werbs­fä­hig­keit).

Beleg­schafts­ver­tre­te­rIn­nen agier­ten bereits in den 1980er Jah­ren als koope­ra­ti­ve Trä­ger von Ratio­na­li­sie­rungs­pro­zes­sen, ganz im Sin­ne des sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Erbes, wonach nur über das gestrit­ten wer­den kön­ne, was zunächst (gemein­sam) im Wett­be­werb erwirt­schaf­tet wer­den konn­te. Die­se Hal­tung hat­te gleich­wohl einen defen­si­ven Zug, inso­fern kei­ne eige­ne stra­te­gi­sche wirt­schaft­li­che Ratio­na­li­tät und dar­aus abge­lei­te­ten prak­ti­schen Geschäfts­vor­schlä­ge folg­ten. In die­sem Sin­ne lie­ße sich von einer Art sub­al­ter­ner Co-Manage­ment spre­chen, in dem Kon­flik­te nicht ver­schwun­den sind, aber ein Bünd­nis mit den Unter­neh­men mit dem Rücken zur Wand geschmie­det wur­de. Sie ent­wi­ckel­ten eine Form „pas­siv loya­ler Koope­ra­ti­on“. Dies bedeu­tet nicht, dass Kri­tik und Mikro­kon­flik­te aus­blie­ben; die grund­sätz­li­che Ratio­na­li­sie­rungs­be­we­gung galt aller­dings als alter­na­tiv­los, zum Teil vor­teil­haft (weil tay­lo­ris­ti­sche For­men über­wun­den wur­den) und zum Teil als klei­ne­res Übel. Aktiv waren Inter­es­sen­ver­tre­te­rIn­nen ledig­lich dar­in, rich­ti­ge Ele­men­te zu stär­ken und Nach­tei­le für Betrof­fe­ne zu mini­mie­ren (Ratio­na­li­sie­rungs­schutz).

Ab Anfang der 1990er Jah­re ver­än­der­te sich dies. Im Sys­tem der per­ma­nen­ten Bewäh­rungs­pro­ben ent­wi­ckel­ten Beleg­schafts­re­prä­sen­tan­tIn­nen offen­si­ve­re unter­neh­me­ri­sche Stra­te­gien, wur­den zu „Ratio­na­li­sie­re­rIn­nen in Eigen­re­gie“, die eige­ne wirt­schaft­li­che Ratio­na­li­täts­kri­te­ri­en (unter den akzep­tier­ten Wett­be­werbs- und Markt­steue­rungs­be­din­gun­gen) for­mu­lier­ten, um Arbeits­plät­ze zu sichern, das erreich­te Niveau der Arbeits­be­din­gun­gen und Löh­ne zu bewah­ren. Aus einer pas­siv loya­len Koope­ra­ti­on wur­de in den 1990er Jah­ren ein »akti­ve­res kol­lek­ti­ves Selbst­un­ter­neh­mer­tum«, das als Teil neo­li­be­ra­ler Gou­ver­ne­men­ta­li­tät gel­ten kann – ohne dass Inter­es­sen­wi­der­sprü­che zwi­schen Kapi­tal und Arbeit gänz­lich an Bedeu­tung ver­lo­ren hät­ten. Prak­tisch taten Betriebs­rä­te und IGM, was auch sozio­lo­gi­sche Ver­tre­te­rIn­nen eines als nicht-neo­li­be­ral gel­ten­den »Modell Deutsch­lands« ihnen ans Herz leg­ten: eige­ne unter­neh­me­ri­sche Stra­te­gien ent­wi­ckeln, die gleich­wohl sozi­al und nicht durch den Wunsch nach höhe­ren Ren­di­ten moti­viert wur­den. Markt­druck wur­de dabei mit Betei­li­gungs­auf­for­de­run­gen sei­tens des Manage­ments kom­bi­niert.